Die jederzeit praktisch veranlagte Momo, einem der älteren Mädchen, fiel etwas ein.

„Wir müssen Thaliogs Wunde versorgen, damit er wieder nach Hause fliegen kann!“

Zustimmendes Gemurmel kam von allen Seiten an. Ja, das war doch endlich etwas Nützliches.

„Zeig mir mal Deinen Flügel, kleiner Thaliog!“, ermunterte Giesi den Drachen.

„Grrr…!“ tönte es aus dem kleinen Drachenmäulchen: „Bin niss klein, wartet nur, biss is groß

sein. Dann kann is Eus aufessen!“ Beleidigt legte Thaliog seinen Kopf zur Seite.

„Ach hab‘ Dich nicht so, wir wollen Dir doch nur helfen. Also zeig uns Deinen Flügel,

damit Du heim kannst!“ versuchte Petra den Drachen zu beschwichtigen.

In der ganzen Aufregung vergaßen die Kinder die unglaubliche fremde Situation.

Im Vordergrund stand die Hilfe für Thaliog. Also riss Wally ihr Bettlaken entzwei,

wohl wissend, dass das Ärger geben würde. Jutta kam hinzu und half ihr, indem sie die

Stoffstreifen als Rolle aufwickelte. Indessen untersuchte Giesi, die ja die Mutigste

von allen war den kaputten Drachenflügel. Oh ja, er war kaputt, denn im Flügel klaffte

ein Loch, durch das Giesis Hand hindurchgepasst hätte. Da kam Hermine eine geniale Idee.





„Jod!“ wisperte sie und ging auch schon auf Zehenspitzen zur Tür.

Leise öffnete sie diese und natürlich drang wieder ein Quietschen durch die Stille.

„Mist!“ fluchte Hermine ganz leise vor sich hin, dass es auch ja niemand hörte. Dann

schob sie vorsichtig ihren blonden Lockenkopf aus der Tür und überblickte den Flur. Alles

war dunkel, alles war still, niemand war da. Dort an der Treppe hing der Kasten, auf dem

ein großes rotes Kreuz aufgemalt war. Und in diesem Kasten war dieses rote Fläschchen, mit

dessen Inhalt Mama Syt immer die Wunden behandelte, wenn eines der Mädchen gestürzt war.

Das tat zwar immer höllisch weh, aber Mama Syt sagte immer:

„Das hilft, dass Eure Wunden heilen und kein Schmutz drin bleibt!“

Naja, und was ihre allseits geliebte Mama Syt sagte, das war doch immer richtig!

Um den Kasten zu öffnen, musste sich Hermine auf Zehenspitzen stellen. Zum Glück

quietschte diese Tür nicht auch beim Öffnen. Nun schnappte sich das Mädchen die Flasche

mit der Aufschrift „Jod“ und schlich auf Zehenspitzen wieder zurück in den

Schlafsaal. Die Tür zog sie ganz vorsichtig hinter sich zu.

Geschafft!

Giesi nahm die Flasche von Hermine entgegen, nickte ihr dankend zu und meinte zu Thaliog:

„Nun halte schön still, das wird hinterher etwas brennen. Aber sei trotzdem leise, ja!“

Sie schraubte den Verschluss ab, nahm einen dieser von Wally und Jutta hergestellten Verbandsfetzen,

träufelte etwas Jod darauf und tupfte vorsichtig damit die Ränder von Thaliogs kaputtem Flügel ab.

„Grrr…!“ schnaubte der Drache und aus seinen Nasenlöchern kamen kleine Funken.

Entsetzt sprangen die Mädchen auseinander.

„Spinnst Du?“ rief aufgebracht Amelie.

„Du steckst uns noch unsere Matratzen in Brand!“ grollte Jutta.

„Is hab nis gewollt!“ weinte nun Thaliog. „Hat mich wehgetan, nis wollte Feuer

spucken! Is das noch gar nis kann!“ stotterte er verlegen weiter. Er war selbst erschrocken,

dass aus seinen kleinen Nüstern schon Funken gesprüht kamen. Und er schaute die Mädchen so

lieb an, dass sie die gerade durchgestandene Angst schnell vergaßen und wieder dicht um den

kleinen Drachen rückten. Nun nahm Giesi die Binden, die Klein Lilly aufgewickelt hatte und

umwickelte ganz vorsichtig Thaliogs Flügelchen. Sie wollte ihm ja nicht wieder einen Grund zum

Funken sprühen geben. Und der Drache biss seine kleinen Zähnchen zusammen und atmete erleichtert

auf, als Giesi mit dem Verbinden fertig war. Ja, nun tat ihm nichts mehr weh, seine Tränen

versiegten. Der Flügel konnte heilen und dann war wieder alles gut. So dachte Thaliog, bis ihm

einfiel, dass er ja nicht nach Hause fliegen konnte. Und schon kullerten ihm

wieder Tränen über sein grünes Gesichtchen.

„Aber Thaliog, was ist denn? Hast Du noch immer Schmerzen?“ fragte Jeany.

„Nn.. nnein..!“ schniefte der Drachen. „Is will nach Hause und is kann nis fliegen!“

Und ein Sturzbach von Tränen durchweichte die Matratze. Ratlos schauten sich die Mädchen an.

Ja, was sollten sie nun machen? Sie konnten Thaliog doch nicht hier im Schlafsaal behalten!

Morgen war der Heilige Abend. Und Mama Syt duldete im Waisenhaus keine Haustiere. Nicht,

weil sie Haustiere nicht mochte. Nein, aber sie war der Meinung, dass es schon

schwer genug sei, die Mäuler der Mädchen zu stopfen...




Copyright & Design